Poetische Begegnung unter Hirschen

Er war eine der großen Festivalüberraschungen der 67. Internationalen Filmfestspiele Berlin: Der Film „On Body and Soul“ der ungarischen Regisseurin Ildikó Enyedi, die auch das Drehbuch schrieb.

Eine geglückte Premiere am ersten Berlinale-Freitag im Berlinale Palast. Eine Woche später hält die Regisseurin den Goldenen Bären in den Händen. Die Filmkritik bespricht den Film zunächst eher verhalten. Vielleicht weil sie erst noch die weiteren Wettbewerbsbeiträge abwarten möchte, bevor sie sich ein Urteil über die doch recht ungewöhnliche Erzählung traut.
Ein Schlachthaus in Budapest wird zum Schauplatz einer seltsam schönen Liebesgeschichte, heißt es im Ankündigungstext. Ganz anders beginnt der Film. Erhaben streift ein Hirsch im Wald umher. Leicht liegt der Dunst der Dämmerung in der Luft. Was es mit diesen traumhaften Bildern auf sich hat, kann man als Zuschauer zunächst nicht ahnen. Die Hirsche sind mehr, als nur die Metapher für die Seelenverwandtschaft der beiden Protagonisten. Sie ist ein hübscher, zarter und durchaus auch humorvoller Erzählfaden, der die Liebesgeschichte verwebt. Da ist zum einen die junge, menschenscheue Mária (Alexandra Borbély), die ihre Arbeitsstelle im Budapester Schlachthof antritt. Ihre autistischen Züge qualifizieren sie geradezu als Qualitätsprüferin, die stets verbissen alle Vorschriften beachtet. Während dem Zuschauer die Leinwand füllenden Aufnahmen blutig aufgespießter Rinderhälften jenen unangenehmen Gefühlscocktail wachrufen und seinen Entschluss zum Vegetarier konvertiert zu sein, unverrückbar bestätigt, lässt Mária jegliche Emotionen vermissen. Für sie zählen nur Zahlen und Fakten. Jedes Gramm Fett zu viel wird mit Punktabzug bestraft. Emotionen muss Mária im echten Leben erst lernen. Gefühle finden sich in ihren Träumen wieder. Sehnsucht nach Beziehung, nach Vertrauen, nach Zärtlichkeit. Endre (Géza Morcsányi), ihr Vorgesetzter, ist ebenfalls eine zurückhaltende Person. Er beobachtet seine neue Mitarbeiterin und, anders als die anderen Kollegen, die sie ob ihrer Merkwürdigkeiten meiden, sucht er ihren Kontakt. Behutsam erzählt Ildikó Enyedi die Geschichte der zaghaften Annäherung der beiden verschlossenen Menschen. Durch einen Zufall erkennen die beiden, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes Seelenverwandte sind. Beide träumen nämlich im gleichen Traum. Sie träumen davon, als Hirsch unterwegs zu sein. In jeder Traumgeschichte, die sie Tag für Tag gegenseitig erzählen und sie so von ihrer magischen, tiefen Seelenverwandtschaft erfahren, streifen sie suchend im Wald umher. Sie kommen sich näher und näher, bis sie an einem plätscherndem Bach aufeinander treffen. Ganz leicht berühren sich ihre warmen Nüstern. Man kann sich kaum eine zärtlichere Metapher ihrer Sehnsucht vorstellen.
Es ist diese Poesie, die den „On Body and Soul“ zu einem starken Film macht. Ildikó Enyedi ist ein famoses Drehbuch gelungen, das tief in die Seele zweier Menschen blicken lässt, deren Leben sie schmerzhaft hat lernen lassen, Gefühle nicht zuzulassen. Und die sich dennoch (oder gerade deswegen) auf den Weg machen zu erfahren, wie es sich anfühlt, wenn man sich auf einen anderen Menschen einlässt. Eine seltsam zärtliche Liebesgeschichte, die den Goldenen Bären verdient hat.mh

Testről és lélekről / On Body and Soul, Regie: Ildikó Enyedi (2017)

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muz 02 – Themenheft GLÜCK erschienen

Zum Jahresbeginn 2017 ist die zweite Ausgabe des „muz“, das Magazin des Münchner Umwelt-Zentrum e.V. im Ökologischen Bildungszentrum (ÖBZ), erschienen. Es ist für alle Interessierte kostenlos im ÖBZ erhältlich. Nach dem ersten Schwerpunktheft Vielfalt widmet sich das neue Themenheft entsprechend des Jahresschwerpunkts „Werte erkennen, reflektieren, sichtbar machen“ dem Thema Glück.

Glück ist ein Paradethema für den Jahreswechsel. Denn der Anfang eines jeden Jahres ist für viele Menschen immer wieder aufs Neue die Gelegenheit für viele gute Vorsätze, damit einem ein glücklich(er)es Leben gelingt. Auch in den Bildungsprogrammen des ÖBZ ist es der Anspruch, Anregungen zur Reflexion über nachhaltige Lebensstile zu gegeben. Was bedeutet persönliches Glück und welche Zusammenhänge gibt es zwischen einer zukunftsfähigen, nachhaltigen Lebensweise und der persönlichen Lebenszufriedenheit. Das Heft stellt das Thema Glück in den Mittelpunkt: Welche Werte sind uns wichtig? Nach welchen Werten möchten wir leben? Und stellen am Ende fest: Letztendlich sind wir alle auf der Suche nach dem Glück.

Auf 32 Seiten stellt das „muz“ aktuelle Projekte vor, berichtet über Veranstaltungen und versucht, etwas von der inspirierenden Atmosphäre des Ökologischen Bildungszentrums zu vermitteln.

Ver.di sei Dank!

Zum Schluss sind doch noch alle rechtzeitig zur 67. Berlinale gekommen. Und das sogar weitgehend klimaneutral – wenn auch nicht ganz freiwillig.

Erste Pressevorführung im Berlinale-Palast. Die Journalisten haben es rechtzeitig nach Berlin geschafft – per Bahn, Auto oder FlixBus. Nur wer aufs Flugzeug setzte, hatte Pech gehabt.

Ausgerechnet in der ersten Berlinale-Woche hat die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di die Beschäftigten der Bodenverkehrsdienste an den Flughäfen Tegel und Schönefeld zu Warnstreiks aufgerufen. Die Warnstreiks starteten zu Schichtbeginn in den frühen Morgenstunden. Erhebliche Beeinträchtigungen werde es geben, hieß es, im schlimmsten Falle muss man sogar mit der Stornierung rechnen.
Erfahrungsgemäß wird zwischen den beiden Hauptstädten des Films geflogen. Im Januar zum Deutschen Filmball von Berlin nach München, im Februar zur Berlinale anders herum. Diesmal konnte man das mit dem morgendlichen Flug knicken, weil die laufenden Verhandlungen zum Vergütungstarifvertrag ins Stocken geraten sind.
Also trafen sich die Filmschaffenden – die graue Sakkos tragenden Geschäftsführer und Produzenten, die etwas bunter gekleideten Geschäftsführerinnen und Produzentinnen und die Schauspielerinnen und Schauspieler, die sich mit kreativ gebundenen Schals und originellen Mützen gegen den Wind schützen, der im Februar so unangenehm kalt zwischen Potsdamer Platz und Berlinale Palast weht – nicht wie üblich am Gate von Air Berlin oder Lufthansa. Öfter als sonst, begegnen sie sich stattdessen am Bahnsteig, wartend auf den völlig überfüllten ICE, im Smalltalk über den Streik des Bodenpersonals und darüber, dass man nicht mal mehr eine Reservierung in der ersten Klasse erhalten habe.
Da rächt es sich, nicht früh im Vorfeld den Zug gebucht zu haben. Die Deutsche Bahn und die Internationalen Filmfestspiele Berlin haben doch eigens eine Kooperation geschlossen, die damit wirbt, bequem per Bahn mit 100 Prozent Ökostrom in die Bundeshauptstadt zu reisen. Quasi komplett emissionsfrei. Es wäre ein einfacher Weg, die persönliche Klimabilanz (und nebenbei auch die des Festivals) zu verbessern. Immerhin spart man bei einer null Kilogramm CO2-Bahnfahrt im Vergleich zum Flug ganze 310 Kilogramm CO2 ein. Das Klima wird es jedem Berlinale-Besucher danken. In diesem Jahr müsste man korrekter Weise zunächst der Gewerkschaft Danke sagen.
Vielleicht wird zur kommenden Berlinale der eine oder andere ja freiwillig auf den Zug umsteigen. Zumal die Bahn bis dahin vermutlich mit der Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen München und Berlin dem Flieger auch hinsichtlich der Reisedauer ernsthaft Konkurrenz machen wird. mh

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